Pflanzen, die in (Gewächs-) Häusern, Lagerhallen oder Containern wachsen, ganz ohne Sonnenlicht? Möglich ist das schon seit einigen Jahren – sieht so die Zukunft der Landwirtschaft aus? Manche sind sich dessen sicher, andere sehen Pflanzen unter Dächern und hinter Wänden eher kritisch. Wir werfen einen Blick in den aktuellen Stand des Indoor Farmings und erklären, was es damit auf sich hat.
Dieser Beitrag ist der erste unserer Reihe rund um moderne Landwirtschaft, Vertical Farming und Automatisierung im Lebensmittelbereich.
Indoor und Vertical farming
Der Begriff des Indoor Farmings scheint zunächst selbsterklärend, die Facetten, die er mit sich bringt, sind jedoch divers – was sie teilen ist jedoch, dass Pflanzen im geschlossenen Raum wachsen. Bisweilen unter natürlichem Sonnenlicht, wie in Gewächshäusern. Möglich ist das aber auch in Containern oder Lagerhallen mit künstlichem Licht. Letzteres wird meist ebenfalls mit Vertical Farming in Verbindung gebracht. Hier werden die Pflanzen auch in die Höhe angebaut – beispielsweise in Regalsystemen, was mehr Anbaufläche auf gleicher Quadratmeterzahl ermöglicht.
Im Zusammenhang mit diesen beiden Begriffen wird häufig auch Controlled-Environment Agriculture (CEA) genannt – dieser Begriff beschreibt dabei eine technologisierte Herangehensweise an Landwirtschaft, bei der die äußeren Einflüsse, die auf die Pflanzen wirken, genau kontrolliert werden. Dies muss ebenfalls in geschlossenen Systemen wie Gewächshäusern geschehen, da nur so die Pflanze von der Umwelt abgeschirmt werden kann.
Doch Indoor Farming muss nicht Anbau im großen Stil heißen – auch Systeme für die heimische Küche oder das Büro sind beliebte Möglichkeiten, frische Kräuter oder Salate zu ernten. Seit März 2021 wachsen es in einem Münchner Edeka außerdem Kräuter und Salate direkt im Markt – und sparen so Transportwege ein. Kund:innen können hier durch Indoor Farming ihre eigenen Lebensmittel im Markt ernten.
Warum das Ganze?
Die Idee der Pflanze im geschlossenen System ist keine neue – bereits die Römer wussten, dass Pflanzen hinter Glasscheiben niedrigeren Temperaturen trotzen können, als unter freiem Himmel. Gewächshäuser sind seit jeher ein geschätztes Mittel, um Umwelteinflüsse wie Starkregen und Hagel, Stürme oder Frost von Pflanzen abzuwenden, und so die Ernte zu retten. Betrachtet man die geschlossenen Systeme in vertikalen Farmen kommen weitere Vorteile hinzu: Hier wird bis zu 90% weniger Wasser benötigt, als in der herkömmlichen Landwirtschaft. Pestizide und Pflanzenschutzmittel werden außerdem kaum noch benötigt, da Insekten und Krankheitserreger in solchen Systemen nicht vorkommen.
Auch für Forschungszwecke sind Indoor Farming Konzepte beliebt: Hier lassen sich vergleichsweise einfach Variablen verändern und anpassen und so erforschen, wie optimales Wachstum gelingt und welche Bedingungen zu höheren Erträgen führen. So kann beispielsweise herausgefunden werden, wie Wachstums- und Erntezeiten verlängert werden können und Geschmack und Optik sich optimal entwickeln.
Durch Automatisierung kann außerdem eine Unabhängigkeit von weiteren externen Faktoren, wie der Verfügbarkeit von Erntehelfer:innen, erreicht werden. Durch Robotiktechnologien, die beispielsweise die Pflanzen mit UV-Licht bestrahlen oder Früchte ernten, können die Landwirt:innen unabhängiger von externen Faktoren – beispielsweise dem Coronavirus oder politischen Spannungen und Kriegen werden.
Die Sache mit der Nachhaltigkeit
Weniger Wasser und Pestizide bedeuten nachhaltigere Produktion? Nicht immer, wie eine Studie von 2017 der ETH Zürich, in Auftrag gegeben vom WWF, zeigt. Zwar sind pflanzliche Lebensmittel meist ökologisch günstiger als tierische, die genaue Bilanz hängt aber vor allem von Produktionsart und Transportmittel ab. Dabei schlagen sich vor allem der Transport per Flugzeug und fossil beheizte Gewächshäuser negativ nieder. Gleiches gilt für den regionalen Anbau von Obst und Gemüse, das mit energieintensiven Maschinen angebaut oder geerntet werden muss. Werden diese Schritte in anderen Ländern per Hand erledigt und läuft die hiesige Maschine mit fossilen Brennstoffen, lohnt sich der Import bisweilen.
Eine Lösung für dieses Problem bieten Gewächshäuser, die erneuerbare Energien nutzen – manche greifen sogar auf Abwärme aus der Industrie zurück, was ebenfalls eine nachhaltige Lösung darstellt. Werden solche genutzt, können Verbraucher:innen guten Gewissens auf lokal im Gewächshaus produziertes Obst und Gemüse zurückgreifen.
Auch die Beleuchtung, die bei Indoor Farming häufig zum Einsatz kommt, kann die Nachhaltigkeitsbilanz verschlechtern, wenn keine erneuerbaren Energien angewandt werden. Hier werden bereits Lösungen wie durchsichtige Solarpanels, die jene Energie in Licht umwandeln, die die Pflanzen nicht benötigen, diskutiert. Denn nicht nur die Ökobilanz wird durch künstliches Licht häufig verschlechtert – auch die Kosten für Landwirt:innen werden hierdurch enorm gesteigert. Daher werden besonders im Bereich der Beleuchtung stets neue Lösungen erforscht, um den Anbau im Gewächshaus sowohl ökologisch als auch ökonomisch nachhaltiger zu gestalten.
Die Natur bleibt draußen?
Um Krankheitserreger und Schädlinge von Pflanzen und System fernzuhalten, wird in Indoor Farming Anlagen zumeist mit technischen Lösungen gearbeitet – beispielsweise per Kamera und Bilderkennungssoftware. Dies spielt hier eine besonders große Rolle, denn: Sind Keime einmal eingedrungen, ist die gesamte Farm in Gefahr. Eine Verbreitung könnte hier zu großen Ernteausfällen führen – durch die Enge geschieht dies schnell, wenn nicht rechtzeitig reagiert wird.
In vertikalen Systemen wird häufig auf Hydroponik oder Aeroponik gesetzt – vereinfacht bedeutet dies, dass die Pflanzen nicht mehr in Erde, sondern in Nährstofflösung bzw. in der Luft unter Bestäubung mit einer solchen wachsen.
Hier wird also das beste und wichtigste der Natur nachgeahmt, ohne, dass Schädlinge in das System eindringen können. Bisweilen löst dies bei Verbraucher:innen Skepsis aus – denn oftmals wirken solche Lösungen von außen undurchsichtig und kompliziert. Auch Verfechter:innen der biologischen Landwirtschaft können bisher nicht auf Produke des Vertical Farmings zurückgreifen – die Zertifizierung von Produkten als „Bio“ ist bislang an den Anbau in Erde gebunden. Ein Kriterium, welches hydroponische und aeroponische Farmen eben nicht erfüllen.
Die Zukunft der Landwirtschaft?
Weshalb also sehen wir noch Felder und Äcker, wenn Indoor Farming so viele Vorteile hat? Bisher ist die Landwirtschaft in geschlossenen Räumen nur für wenige Pflanzenarten profitabel – Salat und Kräuter werden besonders häufig angebaut. [HLB1] Dennoch sind sie kein seltenes Instrument – besonders die Niederlande sind für ihre zahlreichen Gewächshäuser bekannt – manche von ihnen bedecken mehr als 70 Hektar. Kein Wunder, wird doch mehr als die Hälfte der Fläche des Landes für Landwirtschaft und Gartenbau genutzt.
Vertical Farming „Lohnt sich vor allem für hochwertige Pflanzen, die einen hohen Preis pro Gewicht erzielen und möglichst dicht angebaut werden“, so Prof. Dr. Heike Mempel von der Hochschule Weihenstephan Triesdorf auf der hochschuleigenen Webseite. Auch für Pharmazie-, Kosmetik- und Arzneipflanzen, bei denen gleichbleibend hohe Qualität von großer Wichtigkeit ist, kann Indoor und Vertical Farming eine Chance sein.
Die Integration von Indoor Farming in bestehende Strukturen bietet zahlreiche Möglichkeiten – beispielsweise mit der Kultivierung der Pflanzen direkt im Laden, in Großstädten oder Tiefgaragen.
Eine Studie aus dem Jahr 2015 im internationalen Journal of Environmental Research and Public Health, in der hydroponische und konventionelle Anbaumethoden verglichen wurden, kommt zu dem Schluss, dass "der hydroponische Anbau von Salat Land und Wasser effizienter nutzt als die konventionelle Landwirtschaft und zu einer Strategie für die nachhaltige Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung werden könnte, wenn der hohe Energieverbrauch durch verbesserte Effizienz und/oder kostengünstige erneuerbare Energien überwunden werden kann.". Es könnte also noch etwas dauern, bis solche nachhaltigeren und profitablen Formen der Landwirtschaft soweit sind – doch eins ist sicher: Die Landwirtschaft ist im Wandel und auf dem Weg dazu, neue Formen anzunehmen.